Die dynamischen Entwicklungen in Crans-Montana, Grindelwald und Andermatt werden durchaus auch kritisch gesehen. Einerseits ist es offensichtlich, dass sich der Tourismus grundsätzlich weiterentwickeln und dazu unter anderem auch neue Märkte erschliessen muss. Andererseits rufen Politik und Bevölkerung auch nach Besinnung und Nachhaltigkeit. Wo genau die Grenzen liegen, muss jede Destination für sich selbst ausmachen, mit Berücksichtigung der lokalen gesellschaftlichen und kommerziellen Vorgaben.
Die Nachricht, dass nun auch der «kleine» Monte Tamaro im Tessin, oberhalb der Ortschaft Rivera, ausbauen will und dazu eine neue Bergbahn baut, irritierte deshalb – auf den ersten Blick. Während einer Begehung der Baustelle erkennt man jedoch schnell, dass es sich hier um eine andere Konstellation handelt. Denn der 1960 Meter über Meer gelegene Berg ist quasi ein Familienbetrieb, über Generationen aufgebaut, lokal orientiert, regional vernetzt und ohne irgendwelche Investoren.
Spätestens 2032 hätte man von seitens Behörden definitiv schliessen müssen – oder, eben, vorher eine neue Bahn bauen.
Stephan Römer, Marketingdirektor Monte Tamaro
Egidio Cattaneo
Die Familie, die das Gebiet unter und um den Monte Tamaro entwickelt, ist diejenige des 2002 verstorbenen Egidio Cattaneo. Sein persönliches Vermächtnis ist die Kapelle Santa Maria degli Angeli auf dem Tamaro, die er seiner früh verstorbenen Frau Mariangela widmete. Gebaut von Mario Botta und eröffnet 1996, wurde das Bauwerk ein Instagram-würdiges Sujet.
Zwei von Egidios drei Kindern waren oder sind im Betrieb engagiert. Luca ist Hauptaktionär und Präsident und Rocco Initiator des bei der Talstation liegenden Splash & Spa, ein Wasser-Erlebnispark mit grossem Wellnessbereich. Lucas Sohn wiederum, Nicola, führt heute die Geschäfte, und Tochter Laura ist zuständig für Gastronomie und Seilpark.
Diese Geschichte zeigt den frappanten Unterschied zu den Grossresorts. In Rivera ist eine Familie an der Arbeit, die das Angebot über Generationen aufgebaut hat, immer selbst finanzierte, und so ohne ausländische Investoren auskommt. Die neue Gondelbahn, die im Spätsommer dieses Jahres ihren Betrieb aufnehmen wird, veranschlagt immerhin 23 Millionen Schweizer Franken; alles finanziert aus Erspartem und eigenen Investitionen, nur begleitet von der Tessiner Kantonalbank.
Nachhaltiges Planen
Monte Tamaro kam schon Anfang der 2000er-Jahre ins Gespräch, lokal durchaus kritisch. Damals erkannte man, dass Skifahren im Tessin wirtschaftlich und ökologisch nicht mehr vertretbar sei. Heute weiss man, dass es tatsächlich so ist. Die wenigen verbleibenden Tessiner Skidestinationen überleben nur mit Hilfe kantonaler Subventionen.
In Tamaro entschloss man sich damals, die Skilifte zurückzubauen und das Gebiet in den Wintermonaten nicht mehr zu betreiben. Stattdessen entwickelte man neue Ideen für Familien und Wanderer, mit Restaurationsangebot, auch leichten lokale Wanderwegen, Rodelbahn, Seilpark und Tyrolienne. Tamaro sollte ein Rückzugsgebiet werden und das hat die Familie Cattaneo auch erreicht.
Nur, warum jetzt eine neue Gondelbahn? Marketingdirektor Stephan Römer klärt auf: «Die Bahn kam schlicht in die Jahre. 1972 eröffnet, wurde sie zwar 1996 teilrenoviert, aber die regelmässigen Betriebsbewilligungen wären nur noch bis 2032 möglich gewesen. Dann spätestens hätte man von seitens Behörden definitiv schliessen müssen – oder, eben, vorher eine neue Bahn bauen».
Die Ausrichtung bleibt unverändert. Es geht primär um regionales Publikum und nationales aus der Deutschschweiz.
Stephan Römer, Marketingdirektor Monte Tamaro
Keine neuen Märkte
Will man nun, analog Berner Oberland oder Walliser Unterland, die Frequenzen erhöhen und den Umsatz steigern? «Nein», sagt Römer, «die Ausrichtung bleibt unverändert. Wir bieten mit den neuen 8-er Gondelkabinen zwar eine etwas höhere Frequenz an, und die Fahrzeit beträgt nur noch 10 Minuten, aber wir halten an unseren Zielen fest: Es geht primär um regionales Publikum und nationales aus der Deutschschweiz. An den besten Tagen können wir maximal 1500 Gäste pro Tag bewirten, mehr geht nicht, logistisch und atmosphärisch nicht. So werden wir auch in der Zukunft keine GCC- oder Asien-Märkte betreuen und das klassische Gruppengeschäft suchen wir nicht. Wir arbeiten jedoch mit Schulen und immer häufiger auch mit Firmen, die auf bei uns ein Meeting durchführen und danach Teambuilding-Aktivitäten organisieren».
Der Umbau betrifft nur die eigentliche Bahn mit den drei Stationen; Restaurant und Kapelle bleiben unberührt. Die Bergstation wird etwas kleiner als vorher, leicht versetzt und übergrünt, sodass sie sich bestmöglich in die Landschaft integrieren kann.
Die kommerziellen Ziele bleiben fast unverändert. Man will nächstes Jahr erneut rund 115'000 Besucherinnen und Besucher anlocken; möglichst breit gestreut auf die Monate April bis Anfangs November. Dabei spricht man grundsätzlich nicht die Autofahrer an, sondern die Zugsreisenden: Aus der Deutschschweiz kann man den Schnellzug nach Bellinzona nehmen und von dort mit dem Regionalzug die Talstation in Rivera in 15 Minuten erreichen.